Innere Balance auf dem Teller

Innere Balance auf dem Teller

Vordenker an der Schnittstelle von Philosophie, Bewusstseinsforschung und Markenstrategie. Autor international beachteter Sachbücher und Berater für Kommunikationsprozesse mit Tiefgang.

Dr. Sebastián Marincolo

Vordenker an der Schnittstelle von Philosophie, Bewusstseinsforschung und Markenstrategie. Autor international beachteter Sachbücher und Berater für Kommunikationsprozesse mit Tiefgang.

Inhaltsverzeichnis

„Wer Medizin einnimmt und die Ernährung vernachlässigt, verschwendet die Fähigkeiten seiner Ärzte.“  Chinesisches Sprichwort

Unsere Ernährung ist weit mehr als ein bloßer Energielieferant; sie beeinflusst zahlreiche Aspekte der Gesundheit, darunter kognitive Leistungsfähigkeit, mentale Ausgeglichenheit, Schlaf, Schmerzempfinden, Entzündungsprozesse und das allgemeine Wohlbefinden. Im Zentrum dieser vielfältigen Wechselwirkungen steht ein bislang wenig beachtetes Steuerungssystem unseres Körpers: das Endocannabinoid-System (ECS). Dieses Netzwerk aus Rezeptoren und Botenstoffen fungiert als inneres Gleichgewichtssystem und ist an der Regulation zahlreicher biologischer Prozesse beteiligt. Neueste Forschungsergebnisse zeigen, dass bestimmte Lebensmittel und Pflanzenstoffe gezielt auf das ECS einwirken können – mit potenziell weitreichenden Konsequenzen für Gesundheit und Wohlbefinden.

Das Endocannabinoid-System: Die wenig bekannte Steuerzentrale

Das ECS besteht aus drei zentralen Komponenten: den Cannabinoid-Rezeptoren (vor allem CB-1 und CB-2, möglicherweise aber noch weitere), den körpereigenen Liganden (Endocannabinoiden) und den Enzymen, die für deren Synthese und Abbau zuständig sind. Es ist ein zentral wichtiges körpereigenes System, das für Homöostase bzw. eine gesunde Balance im Körper zuständig ist bei sich ändernden Faktoren von außen – wie zum Beispiel in Stresssituationen. Dabei ist das ECS enorm vielseitig und kontrolliert zahlreiche Funktionen, darunter Stressreaktionen, Schmerzempfinden, Stimmung und Wohlbefinden, Schlaf, Appetit und Energiehaushalt, neuronale Entwicklung und Protektion, aber auch Immunreaktionen und viele weitere Funktionen.

Eine Besonderheit des ECS ist, dass es „on-demand“ arbeitet, das heißt, die Endocannabinoide werden bei Bedarf gebildet und wirken nur kurzfristig. Das macht das ECS besonders empfänglich für äußere Einflüsse – etwa durch Ernährung, Bewegung, oder Stress.

Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren: Die Bausteine des ECS

Die Grundlage für die Bildung von Endocannabinoiden liefern mehrfach ungesättigte Fettsäuren, insbesondere Omega-6- und Omega-3-Fettsäuren. Omega-6-Fettsäuren, vor allem Arachidonsäure, dienen als direkte Vorläufer für die Endocannabinoide Anandamid und 2-AG. Eine Ernährung, die reich an Omega-6 ist, fördert deswegen die Bildung dieser Endocannabinoide. Allerdings kann ein Übermaß an Omega-6 – wie es in der westlichen Ernährung mit einem Verhältnis von bis zu 16:1 gegenüber Omega-3 üblich ist – zu einer Überaktivierung des ECS führen. Dies kann Entzündungen, Übergewicht und metabolischen Störungen begünstigen.

Omega-3-Fettsäuren, die zum Beispiel in fettem Seefisch, Hanf, Leinsamen, Walnüssen, Kürbiskernen, Rapsöl, oder Chiasamen vorkommen, wirken als Gegenspieler: Sie fördern die Bildung von Endocannabinoid-ähnlichen Molekülen wie DHEA, die entzündungshemmend wirken und das ECS wieder ins Gleichgewicht bringen können. Ein ausgewogenes Verhältnis von Omega-6 zu Omega-3 ist idealerweise 4:1 oder noch niedriger ist essenziell, um das ECS optimal zu unterstützen und Entzündungsprozesse im Körper zu regulieren.

Das Verhältnis kann man auch verbessern, indem man in seinem Speiseplan Lebensmittel mit hohem Anteil an Omega-6 reduziert; darunter sind stark verarbeitete Lebensmittel, Fertigprodukte, Sonnenblumenöl, Distelöl und große Mengen Fleisch und Wurstwaren, da sie besonders viel Omega-6 enthalten.

Hanflebensmittel: Mehr als nur ein Trend

Hanfprodukte wie Hanfsamen, Hanföl und Hanfprotein sind in den letzten Jahren zu regelrechten Superfoods avanciert – und das zu Recht. Hanfsamen enthalten nicht nur hochwertiges pflanzliches Protein, sondern auch ein nahezu ideales Verhältnis von Omega-6- zu Omega-3-Fettsäuren von etwa 3:1. Damit bieten sie eine perfekte Grundlage, um das ECS über die Ernährung zu unterstützen.

Doch Hanf kann noch mehr: Neben den wertvollen Fettsäuren enthält die Pflanze auch Spuren von Phytocannabinoiden wie zum Beispiel Cannabidiolsäure (CBDa). In der Hanfpflanze liegt Cannabidiol (CBD) zunächst nur als CBDa vor. Erst durch Erhitzen (z. B. beim Trocknen, Kochen oder Extrahieren) wird CBDa in CBD umgewandelt, einen Prozess, den man Decarboxylierung nennt. CBDa und CBD sind beide nicht stark psychoaktiv wie THC, CBD könnte sogar die psychoaktive Wirkung von THC abschwächen. CBDa und CBD unterscheiden sich aber in Struktur, Bioverfügbarkeit und Wirkung: CBDa wird im Körper besser aufgenommen und wirkt anders auf das Endocannabinoid-System als CBD. Während CBD besser erforscht ist, zeigen erste präklinische Studien, dass CBDa eigene, teils stärkere Effekte haben könnte, etwa bei Entzündungen oder Übelkeit.

Darüber hinaus gibt es Hinweise darauf, dass bestimmte aromatische Terpene wie Beta-Caryophyllen oder Limonen und weitere sekundäre Pflanzenstoffe aus Hanf mit dem ECS interagieren und dessen Funktion modulieren können – etwa indem sie die Verfügbarkeit körpereigener Endocannabinoide erhöhen oder entzündungshemmende Signalwege unterstützen.

Praktisch lässt sich Hanf ganz einfach in den Alltag integrieren: Zwei bis drei Esslöffel Hanfsamen im Müsli, ein Löffel Hanföl über den Salat oder ein Löffel Hanfprotein im Smoothie könnten bereits helfen, um eine ausgewogene Ernährung zu unterstützen. Was den Hanftee betrifft, sollte man bei der Zubereitung darauf achten, Blätter nur mit heißem, aber nicht mit kochendem Wasser zu übergießen, um die darin enthaltenen Terpene möglichst zu erhalten.

Wasserfarben-Skizze in Seitenansicht eines minimalistischen, schwebenden Regals mit einem Glas Wasser und frischen Cannabisblättern sowie einer zarten Schale mit drei dünnen Gurkenscheiben vor hellem, dezent gefärbtem Hintergrund, die eine meditative, harmonische Stimmung vermittelt.

Pflanzenkraft für das ECS: Pfeffer, Echinacea, Maca und mehr

Neben Hanf bzw. Cannabis gibt es weitere Pflanzen, die das ECS gezielt modulieren können. Besonders spannend sind hier schwarzer Pfeffer, Sonnenhut, Kurkuma, Maca und Kava Kava.  

Schwarzer Pfeffer (Beta-Caryophyllen)

Beta-Caryophyllen ist ein Terpen, das in schwarzem Pfeffer, Oregano, Rosmarin und auch in Hanf vorkommt. Präklinische Studien deuten darauf hin, dass es mit dem Endocannabinoid-System interagieren und in Tiermodellen entzündungshemmende sowie schmerzlindernde Effekte zeigen könnte. Diese vorläufigen Erkenntnisse stammen jedoch überwiegend aus experimentellen Laborsettings – klinische Studien am Menschen stehen noch aus. Dies gilt auch weitestgehend für die unten beschriebenen Lebensmittel. 

Sonnenhut (Echinacea)

Echinacea enthält sogenannte N-Acylethanolamine, die strukturell körpereigenen Endocannabinoiden ähneln. Präklinische Studien deuten darauf hin, dass diese Pflanzenstoffe mit CB2-Rezeptoren des Endocannabinoid-Systems interagieren und in Zell- und Tiermodellen entzündungsbezogene Signalwege beeinflussen können. Dabei wurden Effekte auf Immunreaktionen, wie die Hemmung bestimmter Entzündungsbotenstoffe, beobachtet. Ob und wie sich diese Ergebnisse auf den Menschen übertragen lassen, ist Gegenstand aktueller Forschung.

 Kurkuma (Curcumin)

Curcumin, der leuchtend gelbe Farbstoff aus der Kurkumawurzel, hemmt präklinischen Studien zufolge das Enzym FAAH, das sonst das Endocannabinoid Anandamid abbaut. Dadurch steigt der Anandamid-Spiegel im Körper, was sich positiv auf Stimmung, Schmerzempfinden und Entzündungsprozesse auswirken könnte. Die Kombination mit schwarzem Pfeffer (Piperin) erhöht die Bioverfügbarkeit von Curcumin um ein Vielfaches. 

Maca (Lepidium meyenii)

Die peruanische Wurzel enthält N-Alkylamide, die als FAAH-Hemmer wirken und den Abbau von Anandamid verlangsamen. Dadurch erhöht sich die Konzentration dieses „Glücksmoleküls“ Anandamid im Körper, was potenziell stressreduzierende und neuroprotektive Effekte begünstigen könnte. Präklinische Studien deuten zudem auf eine synergistische Wirkung mit CBD hin.

Kava Kava (Piper methysticum)

Kava Kava ist eine traditionelle Heilpflanze aus dem Südpazifik. Die Wurzel enthält Kavalactone wie Yangonin, die am CB1-Rezeptor wirken und dadurch potenziell angstlösende sowie entspannende Effekte entfalten könnten. Kava-Extrakte werden in bestimmten Kulturen traditionell zur Entspannung genutzt. Die klinische Forschung zu Anwendungsgebieten ist noch im Gange.

Praktische Ernährungstipps für ein starkes ECS

Wer sein Endocannabinoid-System gezielt unterstützen möchte, sollte auf eine ausgewogene, überwiegend pflanzenbasierte Ernährung achten. Besonders empfehlenswert sind:

• Omega-3-reiche Lebensmittel: Fettreicher Fisch (z. B. Lachs, Makrele), Leinsamen, Chiasamen, Walnüsse, Hanfsamen und Hanföl

• Omega-6-Reduktion: Sonnenblumenöl meiden, stattdessen Olivenöl oder Rapsöl bevorzugen.

• Pflanzenstoffe: Kurkuma (am besten mit schwarzem Pfeffer kombiniert), Hanfprodukte, Kräuter wie Oregano und Rosmarin, Trauben

Regelmäßige Bewegung, ausreichend Schlaf und Stressmanagement unterstützen die gesunde Funktion des ECS zusätzlich.

Fazit

 Die Wissenschaft zeigt immer deutlicher: Das Endocannabinoid-System ist ein entscheidender Schlüssel für Gesundheit, Wohlbefinden und Prävention. Mit einer ausgewogenen Ernährung, die reich an Omega-3-Fettsäuren ist und gezielt Pflanzenstoffe wie Curcumin, Beta-Caryophyllen und Kavalactone nutzt, können wir unser ECS aktiv unterstützen. Cannabis spielt dabei eine zentrale Rolle – die Pflanze liefert nicht nur wertvolle Fettsäuren, sondern auch sekundäre Pflanzenstoffe, die das ECS auf natürliche Weise modulieren.

Wir haben noch viel zu lernen, aber eines ist klar: Die Zukunft der Ernährung ist personalisiert, pflanzenbasiert – und nimmt das Endocannabinoid-System ins Visier.

 Hinweis: Dieser Artikel dient der allgemeinen Information und ersetzt keine medizinische Beratung. Die genannten Lebensmittel und Pflanzenstoffe sind keine Arzneimittel. Bei gesundheitlichen Beschwerden konsultieren Sie bitte eine Ärztin oder einen Arzt.

 

Quellen

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