CBD Moleküle Struktur

Multitalent CBD

Dr. Sebastián Marincolo

Vordenker an der Schnittstelle von Philosophie, Bewusstseinsforschung und Markenstrategie. Autor international beachteter Sachbücher und Berater für Kommunikationsprozesse mit Tiefgang.

Inhaltsverzeichnis

Inmitten eines globalen Wandels hin zu natürlicheren Heilmitteln erlebt ein von der Cannabispflanze produziertes Molekül einen bemerkenswerten Aufstieg: Cannabidiol, kurz CBD. Was einst ein kaum beachteter Bestandteil der Hanfpflanze war, hat sich in wenigen Jahren zu einem Hoffnungsträger für Millionen Menschen entwickelt - von Schmerzpatienten bis hin zu gestressten Großstädtern. Rund um den Globus wächst nicht nur das Interesse, sondern auch der Markt. Ob in Nordamerika, Europa oder Asien: CBD-Produkte erobern Apotheken, Onlineshops und Supermarktregale.

CBD wirkt nicht nur auf das Endocannabinoid-System

Cannabidiol (CBD) wird in der Öffentlichkeit häufig im Zusammenhang mit dessen Wirkung auf das Endocannabinoid-System (ECS) diskutiert, doch diese Darstellung greift bei weitem zu kurz. Wissenschaftliche Studien zeigen, dass CBD als "promiskuitives" Molekül mit mindestens 15 verschiedenen pharmakologischen Zielstrukturen im menschlichen Körper interagiert - darunter körpereigene Rezeptoren wie Serotonin-5-HT₁A oder Vanilloid-TRPV1, aber auch Enzyme, Ionenkanäle und weitere Ziele. Diese verschiedenen Wirkmechanismen machen Cannabidiol zu einem erstaunlichen biologischen Multitool. Während CBD oft allein im Kontext des Endocannabinoid-Systems (ECS) diskutiert wird, agiert es also nicht nur über dieses faszinierende System - mehr zum ECS gleich - sondern über viele andere Wege. Einige der wichtigsten pharmakologischen Wirkmechanismen von natürlichem CBD im Körper betreffen folgende pharmakologischen Zielstrukturen:

Vanilloid-Rezeptoren (TRPV1)

CBD bindet an unseren körpereigenen TRPV1-Rezeptor - denselben Sensor, der für die Hitzeempfindung bei Chili-Schärfe (Capsaicin) verantwortlich ist. Studien zeigen, dass CBD diesen Kanal bereits bei geringen Konzentrationen aktiviert, was möglicherweise schmerzmodulierende Effekte erklärt.

Serotonin-Rezeptor 5-HT1A

Als partieller Agonist dieses Rezeptors beeinflusst CBD das Serotoninsystem - ein Schlüsselregulator für Stimmung und Stressantworten.

PPARγ-Kernrezeptoren

Durch Aktivierung dieser DNA-bindenden Proteine könnte CBD entzündungshemmende und neuroprotektive Signalwege anstoßen.

GPR55-Rezeptoren

CBD blockiert diesen Rezeptor der an Entzündungsprozessen und Knochenstoffwechsel beteiligt ist.

Das Endocannabinoid-System

Wie aber wirkt nun CBD zusätzlich auf das Endocannabinoid-System? Auch hier wird oft nur sehr verkürzt und irreführend dargestellt, wie komplex und interessant genau diese Wirkung von CBD eigentlich ist. Zuerst sollten wir uns kurz ansehen, was das Endocannabinoid-System (ECS) überhaupt ist und welche Aufgaben es hat. Das Endocannabinoid-System ist evolutionär über 500 Millionen Jahre alt und findet sich in allen Tieren (außer in Insekten) und im Menschen. Es ist ein zentraler Bestandteil der menschlichen Physiologie und spielt unter anderem eine Schlüsselrolle bei der Aufrechterhaltung der inneren Balance - der sogenannten Homöostase. Das ECS besteht aus drei Hauptkomponenten: Endocannabinoiden (körpereigene Botenstoffe wie Anandamid (Arachidonylethanolamid, kurz AEA), 2-Arachidonoylglycerol (kurz 2-AG), den Cannabinoid-Rezeptoren CB-1 und CB-2 und abbauenden Enzymen wie z.B. FAAH (Fatty Acid Amide Hydrolase).

Die CB1-Rezeptoren sind vor allem im Gehirn und Rückenmark lokalisiert und regulieren Prozesse wie Schmerzempfinden, Appetit, Gedächtnis und Stimmung. CB2-Rezeptoren finden sich vorwiegend im Immunsystem und peripheren Geweben, aber auch unter anderem in verschiedenen Organen und in blutbildenden Zellen und sind zum Beispiel an Entzündungsreaktionen und der Immunabwehr beteiligt.

Ein zentrales Enzym im ECS ist FAAH (Fatty Acid Amide Hydrolase). Es baut das Endocannabinoid Anandamid ab - eine Substanz, die aufgrund ihrer stimmungsaufhellenden Wirkung oft als "Glücksmolekül" bezeichnet wird. (Der Begriff "Anandamid" leitet sich vom Sanskrit-Wort "Ananda" (आनन्द) ab, das wörtlich übersetzt "Glückseligkeit", "Wonne" oder "inneres Glück" bedeutet.) Durch Hemmung von FAAH kann der Anandamid-Spiegel erhöht und somit z. B. Stress reduziert werden.

Das ECS reguliert zahlreiche physiologische und psychologische Prozesse im Körper, darunter:

Physiologisch: Schmerzmodulation, Entzündungshemmung, Schlaf-Wach-Rhythmus, Neuroprotektion, Verdauung und Appetit, Temperaturregulation, Hormonhaushalt, Immunantwort, Knochenaufbau und -regeneration

Psychologisch: Stressbewältigung, Stimmungsregulation, Angstverarbeitung, Belohnungssystem, Gedächtnisbildung

Das ECS wirkt wie ein umfassendes biologisches "Feinjustiersystem" - es greift überall dort ein, wo Gleichgewicht verloren geht. Pflanzliche Cannabinoide wie CBD oder THC können über dieses System vielfältige Wirkungen entfalten - jedoch auf ganz unterschiedliche Weise.

CBD und THC: Sehr ähnliche Struktur, stark unterschiedliche Wirkung

Während die psychoaktive Wirkungsweise des bekannten Cannabinoids THC (Tetrahydrocannabinol) hauptsächlich über die seine Wirkung auf das Endocannbinoid-System zu erklären ist, wirkt CBD wie oben beschrieben auf viele weitere pharmakologische Ziel im Körper und wirkt auch ganz anders auf das Endocannabinoid-System. Dies ist eigentlich verwunderlich, denn Cannabidiol (CBD) und Delta-9-Tetrahydrocannabinol (THC) sind sich auf molekularer Ebene erstaunlich ähnlich: Beide besitzen die gleiche Summenformel (C₂₁H₃₀O₂) und nahezu identische Atomverteilungen.

Der entscheidende Unterschied liegt jedoch in ihrer räumlichen Struktur - genauer gesagt in einem Ring: THC besitzt einen geschlossenen Cyclohexanring, der an den CB1-Rezeptor im Gehirn bindet und dort die bekannten psychoaktiven Effekte (das "High") auslöst. CBD hingegen hat an dieser Stelle eine offene Seitenkette. Dadurch kann es nicht direkt psychoaktiv wirken und bindet nicht auf die gleiche Weise an CB1.

Interaktionen von CBD mit dem Endocannabinoid-System

CBD bindet nicht direkt wie THC an die orthosterische (Haupt-) Bindungsstelle des CB1-Rezeptors, sondern wirkt als negativer allosterischer Modulator. Das bedeutet: CBD verändert die Form des CB1-Rezeptors an einer seitlichen bzw. allosterischen Bindungsstelle, nicht am Hauptbindungsort für THC. Dadurch wird die Bindungsfähigkeit von THC an CB1 herabgesetzt ("negative" Wirkung) - THC kann als nicht mehr seine volle Wirkung entfalten.

Studien zeigen eine Reduktion der THC-Bindung um bis zu 73 %. Auch die Signalweiterleitung des Rezeptors (z. B. ERK1/2-Aktivierung, Dopaminausschüttung) wird um bis zu 60-80 % reduziert. Dies könnte der Wirkmechanismus hinter der immer wieder von Cannabis-Nutzern berichtete Beobachtung sein, dass CBD die psychoaktive Wirkung von THC dämpfen kann, ohne selbst "high" zu machen.

Übrigens: auch synthetische Cannabinoide sind zwar den natürlichen, pflanzlichen Cannabinoiden molekular sehr ähnlich, können aber durch ihre synthetische Modifikation kleine Strukturunterschiede aufweisen, die zu unvorhersehbaren starken und unerwünschten pharmakologischen starken Nebeneffekten führen.

Die oben beschrieben Wirkung von CBD ist aber nicht die einzige interessante Wirkung von CBD in Hinblick auf die Interaktion mit dem Wirkmechanismus von THC im Körper. CBD hemmt das Enzym FAAH (Fatty Acid Amide Hydrolase), welches für den Abbau des körpereigenen Endocannabinoids Anandamid zuständig ist. Durch die FAAH-Hemmung steigt der Anandamid-Spiegel im Körper, was angstlösende und stimmungsstabilisierende Effekte fördern kann. Indirekt beeinflusst CBD auch den THC-Stoffwechsel: CBD hemmt die körpereigenen CYP450-Enzyme wie CYP3A4 und CYP2C9, die für den Abbau von THC zuständig sind. Das könnte zu einem verzögerten Abbau von THC führen und die Dauer seiner Wirkung verlängern - allerdings bei gleichzeitig reduzierter Intensität des Highs durch die CB1-Modulation.

 

Fazit

Cannabidiol (CBD) hat sich in den letzten Jahren vom unscheinbaren Pflanzenbestandteil zum vielversprechenden therapeutischen Multitalent entwickelt. Seine vielfältigen Wirkmechanismen gehen dabei weit über das bekannte Endocannabinoid-System (ECS) hinaus. CBD interagiert mit zahlreichen Zielstrukturen im Körper - darunter Vanilloid- und Serotoninrezeptoren - und entfaltet dadurch potenziell schmerzstillende, stimmungsaufhellende, entzündungshemmende und neuroprotektive Wirkungen. Die Forschung zu CBD ist allerdings noch nicht abgeschlossen; viele Effekte werden derzeit in Studien untersucht und sind nicht als gesicherte medizinische Aussagen zu verstehen.

Auch im Kontext des ECS zeigt CBD ein komplexes und differenziertes Wirkprofil. Anders als das psychoaktive THC bindet es nicht direkt an die CB1-Rezeptoren, sondern wirkt dort als allosterischer Modulator am körpereigenen Endocannabinoid-Rezeptor CB-1 und schwächt so möglicherweise die THC-Wirkung ab. Gleichzeitig hemmt es das Enzym FAAH, wodurch das "Glücksmolekül" Anandamid länger verfügbar bleibt - ein Mechanismus, der zur stress- und angstlösenden Wirkung beitragen könnte.

Insgesamt lässt sich sagen: CBD ist weit mehr als ein natürlicher Einflussfaktor auf das Endocannabinoid-System. Es agiert als vielseitiger Regulator physiologischer und psychologischer Prozesse und eröffnet damit ein breites Spektrum potenzieller therapeutischer Anwendungen. Damit rückt Cannabidiol zunehmend in den Fokus moderner, ganzheitlicher Medizinansätze.

 

 

Quellen

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Autor: Dr. Sebastian Marincolo

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