Illustration von verschiedenen Blumen

Wie natürliche Pflanzenstoffe im Zusammenspiel wirken

Dr. Sebastián Marincolo

Vordenker an der Schnittstelle von Philosophie, Bewusstseinsforschung und Markenstrategie. Autor international beachteter Sachbücher und Berater für Kommunikationsprozesse mit Tiefgang.

Inhaltsverzeichnis

Der Entourage-Effekt erklärt – fundiert, verständlich und tief verwurzelt in der Welt von Heimat.

Was ist eigentlich genau mit "Entourage-Effekt" gemeint, wenn es um die Wirkung von natürlichen Cannabisprodukten geht? Der Begriff wurde erstmals 1998 in einer gemeinsamen Publikation von den israelischen Forschern Shimon Ben-Shabat (Erstautor) und Raphael Mechoulam (der leitende Forscher der Gruppe) mit weiteren Autoren in einer präklinischen Studie eingeführt, in der gezeigt wurde, dass bestimmte endogene Cannabinoide - also, von unserem Körper selbst produzierte Substanzen - mit anderen körpereigenen Substanzen die Wirkung des Endocannabinoids im Körper verstärken können.

Der Begriff entstand also nicht, um die Wirkung von pflanzlichem Cannabis auf uns zu beschreiben, sondern um einen Effekt zu beschreiben, der unsere körpereigenen Cannabinoide und deren Synergien mit anderen körpereigenen Substanzen betrifft.

Der Entourage Effekt von pflanzlichem Cannabis

Erst später führte dies zur Hypothese, dass auch bei der medizinischen Anwendung von Cannabis die Gesamtheit derer pflanzlichen Substanzen im Zusammenspiel eine stärkere oder andersartige Wirkung entfalten kann als isolierte Einzelstoffe.

Mit wachsendem Verständnis des Endocannabinoid-Systems und der Entdeckung weiterer Pflanzeninhaltsstoffe wird seitdem der Entourage-Effekt als möglicher Grund für die oft berichtete überlegene Wirkung von Vollspektrum-Cannabisprodukten gegenüber Einzelsubstanzen diskutiert.

In den letzten Jahren hat sich das Konzept in der wissenschaftlichen Literatur etabliert und wird als synergistisches Phänomen verstanden, bei dem mehrere Bestandteile der Cannabispflanze gemeinsam die therapeutische Wirkung modulieren. Während zahlreiche präklinische und einige klinische Studien Hinweise auf solche Synergieeffekte liefern, ist die Evidenzlage allerdings für eine stabile und vorhersehbare klinische Wirksamkeit bislang begrenzt und Gegenstand aktueller Forschung.

Cannabissorten bilden eine Vielzahl an unterschiedlichen chemischen Verbindungen und unterschiedliche Sorten von Cannabis bilden dabei ein ganz eigenes, charakteristisches Substanzprofil aus. Unzählige Cannabis Nutzer und Patienten haben immer wieder davon berichtet, dass verschiedene Sorten auf sie ganz unterschiedlich wirken und sie deswegen bestimmte Sorten auch ganz gezielt für bestimmte Effekt einsetzen.

Die üblichen Verdächtigen: Cannabinoide, Terpene, Flavonoide

Wenn es um die Beschreibung des Entourage-Effektes geht, nennen viele Informationsquellen heute die Cannabinoide Delta-9-Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD) auf, vernachlässigen aber oft die anderen Cannabinoide, die zu den "üblichen Verdächtigen" für synergistische Effekte zählen. Neben den cannabinoiden "Superstars" THC und CBD finden sich in Cannabis auch über 120 verschiedene Cannabinoide wie Cannabigerol (CBG), Cannabichromen (CBC), Cannabinol (CBN) und Tetrahydrocannabivarin (THCV), die alle ein unterschiedliches Wirkprofil haben und potentiell vor allem im Zusammenhang mit THC oder auch CBD zu ganz unterschiedlichen Wirkungen im Körper führen könnten.

In Cannabispflanzen finden sich des weiteren ca. 200 Terpene und über 30 Flavonoide - je nach Cannabissorte variiert die Menge und Quantität der darin gefundenen Substanzen. Terpene wie Limonen, Myrcen oder Linalol, die unter anderem für den Geruch und Geschmack von Cannabis verantwortlich sind, sind eine vielfältige Gruppe natürlicher, meist aromatischer Verbindungen. Sie stellen die Hauptbestandteile ätherischer Öle vieler Pflanzen dar und sind auch in Cannabis in hoher Konzentration vorhanden.

Terpene entfalten eine Vielzahl biologischer Effekte und können über unterschiedliche Rezeptoren wirken, darunter die Cannabinoid-Rezeptoren (CB1, CB2), Adenosin-Rezeptoren und weitere Signalwege im Nervensystem. Zu den dokumentierten Wirkungen zählen unter anderem: Entzündungshemmung, Schmerzlinderung, Neuroprotektion, antioxidative Wirkungen, antimikrobielle und antitumorale Wirkungen sowie psychoaktive Effekte; sie können stimmungsmodulierend wirken und auch kognitive Funktionen und Verhalten beeinflussen.

Weitere prominente Kandidaten für mögliche synergistische Effekte sind die Flavonoide, eine weitere große Gruppe sekundärer Pflanzenstoffe. Sie sind für die rote, blaue, gelbe und violette Färbung vieler Obst- und Gemüsesorten verantwortlich und spielen eine wichtige Rolle im Stoffwechsel der Pflanzen, etwa als Schutz vor UV-Strahlung und oxidativem Stress. In der menschlichen Ernährung und Medizin sind sie bedeutend, da sie antioxidative, entzündungshemmende und potenziell krebsvorbeugende Eigenschaften besitzen und das Immunsystem sowie die Gefäßgesundheit unterstützen.

Endocannabinoid-ähnliche Verbindungen, Alkaloide, Phenolische Verbindungen

Über Cannabinoide, Terpene und Flavonoide hinaus enthält die Pflanze Cannabis auch andere bioaktive Substanzen, die potenziell zum Entourage-Effekt beitragen können. Dazu zählen unter anderem:

1. Endocannabinoid-ähnliche Verbindungen wie bestimmte Fettsäureester (z.B. Palmitoylethanolamid, Oleoylethanolamid), die die Wirkung körpereigener Endocannabinoide verstärken können

2. Alkaloide wie Cannabisativin, die in geringen Mengen in Cannabis vorkommen und pharmakologisch aktiv sein können

3. Phenolische Verbindungen, die antioxidative Eigenschaften besitzen

Aktuell bleibt die Rolle dieser weiteren Verdächtigen im Entourage-Effekt spekulativ. Während Terpene und Flavonoide bereits als Schlüsselkomponenten gelten, fehlen für Alkaloide noch klinische oder präklinische Nachweise. Forschungsarbeiten wie die von Sexton et al. (2023) betonen, dass die komplexe Chemie von Cannabis noch viele unerforschte Verbindungen umfasst, die möglicherweise zur Gesamtwirkung beitragen.

Desinformation, Marketing, Evidenz

In den letzten Jahrzehnten gab es umfangreiche Desinformationskampagnen über Cannabis, die leider auch von Regierungen verantwortet wurden - darüber habe ich auch eine Analyse in meinem Buch Elevated. Cannabis as a Tool for Mind Enhancement (2023) vorgelegt.

In den letzten Jahren sehen wir eine große Zunahme wissenschaftlicher Arbeiten über Cannabis und das Endocannabinoid-System; alleine in der wissenschaftlichen Datenbank PubMed finden sich über 30.000 Artikel. Allerdings sehen wir mit dem entstehenden Cannabis-Markt auch, dass wir vom Zeitalter der Regierungs-gesteuerten Desinformation direkt in eine Zeitalter der Marketing-gesteuerten Desinformation übergehen.

Dazu muss Folgendes gesagt werden:

1. Die Evidenz aus Studien zu den Wirkungen natürlicher Terpene oder anderen pflanzlichen Stoffen, die für den Entourage-Effekt eine Rolle spielen könnten, sind noch sehr begrenzt.

2. Selbst wenn die Studienlage für die Wirkung dieser Stoffe besser wäre, ist noch fraglich, ob diese in einer bestimmten Konzentration in einer bestimmten Cannabisorte im Zusammenspiel mit anderen Substanzen tatsächlich diese Wirkung vermittelt.

3. Es gibt verschiedene Arten synergistischer Effekte zwischen verschiedenen Substanzen; manche Stoffe können im Zusammenspiel die Durchlässigkeit an der Blut-Hirn-Schranke erhöhen, andere können kognitive Effekte von THC abmildern oder mögliche angstlösende Wirkungen von CBD verstärken. Noch kennen wir die Dynamik dieser vielfältigen Synergien zu wenig.

Fazit

Der Entourage Effekt spielt eine große Rolle in Bezug sowohl auf die medizinische Anwendung von Cannabis als auch den Gebrauch für andere Zwecke. Es gibt es eindeutige Hinweise aus der Pharmakologie und tausenden von Erfahrungsberichten darauf, dass die Wirkung von THC und auch CBD von verschiedenen natürlich vorkommenden Substanzen moduliert wird - allerdings ist noch nicht klar, wie die synergistischen Effekte hier genau funktionieren. Vermutlich spielen hier nicht Hunderte von Substanzen eine Rolle - viele der Cannabinoide und der anderen Substanzen kommen in den Cannabis-Sorten nur in sehr geringer Menge vor - so dass am Ende wohl eher nur ein paar Dutzend davon in einer Sorte für ein bestimmtes Wirkprofil sorgen.

Patienten und Konsumenten sollten generell vorsichtig sein mit bestimmten voreiligen Marketing-Claims. In Bezug auf spezifische Angaben von Wirkungen einzelner Substanzen sollten sie sich eher auf achtsames Experimentieren bei der Sortenauswahl verlassen als auf wild spekulative Verkaufsclaims z. B. darüber, dass einige Terpene eine "kreative" oder "Stimmung aufhellende" Wirkung auslösen könnten.

Quellen

1. Ben-Shabat, S., Fride, E., Sheskin, T., Tamiri, T., Rhee, M. H., Vogel, Z., ... & Mechoulam, R. (1998). An entourage effect: inactive endogenous fatty acid glycerol esters enhance 2-arachidonoyl-glycerol cannabinoid activity. European Journal of Pharmacology, 353(1), 23-31. https://doi.org/10.1016/S0014-2999(98)00392-6

2. Eyal, A., & Raz, N. (2024). Synergistic Effects of Terpenes and THC in Medical Cannabis. Bazelet White Paper.

3. Frontiers in Pharmacology. (2021). Therapeutic Applications of Terpenes on Inflammatory Diseases. Frontiers in Pharmacology, 12, Article 704197. https://doi.org/10.3389/fphar.2021.704197

4. Li, X., Wang, H., Yang, Y., & Li, X. (2017). Terpenes from forests and human health. Environmental Health and Preventive Medicine, 22, Article 70. https://doi.org/10.1186/s12199-017-0679-9

5. Marincolo, S. (2023). Elevated: Cannabis as a Tool for Mind Enhancement. Hilaritas Press

6. Namdar, D., Voet, H., Ajjampura, V., et al. (2021). Cannabis sativa terpenes are cannabimimetic and selectively enhance cannabinoid activity. Scientific Reports, 11, Article 87740. https://doi.org/10.1038/s41598-021-87740-8

7. Pellati, F., Borgonetti, V., Brighenti, V., Biagi, M., Benvenuti, S., & Corsi, L. (2018). Cannabis sativa L. and Nonpsychoactive Cannabinoids: Their Chemistry and Role against Oxidative Stress, Inflammation, and Cancer. BioMed Research International, 2018, Article ID 1691428. https://doi.org/10.1155/2018/1691428

8. Russo, E. B. (2011). Taming THC: potential cannabis synergy and phytocannabinoid-terpenoid entourage effects. British Journal of Pharmacology, 163(7), 1344-1364. https://doi.org/10.1111/j.1476-5381.2011.01238.x

9. Russo, E. B., & Marcu, J. (2017). Cannabis pharmacology: The usual suspects and a few promising leads. Advances in Pharmacology, 80, 67-134. https://doi.org/10.1016/bs.apha.2017.03.0044.

10. Russo, E. B., & McPartland, J. M. (2019). The Case for the Entourage Effect and Conventional Breeding of Clinical Cannabis: No "Strain," No Gain. Frontiers in Plant Science, 9, 1969. https://doi.org/10.3389/fpls.2018.01969

11. Sexton, M., Shelton, K., Haley, P., & West, M. (2023). Decoding the Postulated Entourage Effect of Medicinal Cannabis. Pharmaceuticals, 16(8), 1057. https://doi.org/10.3390/ph16081057

12. Zhao, J., Jiang, P., Li, H., Yan, J., & Zhang, G. (2016). Terpenes and terpenoids as main bioactive compounds of essential oils: Their role in human health. Frontiers in Pharmacology, 13, Article 9039924.

 

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