Vaporisatoren als Präzisionsinstrumente

Vaporisatoren als Präzisionsinstrumente

Vordenker an der Schnittstelle von Philosophie, Bewusstseinsforschung und Markenstrategie. Autor international beachteter Sachbücher und Berater für Kommunikationsprozesse mit Tiefgang.

Vordenker an der Schnittstelle von Philosophie, Bewusstseinsforschung und Markenstrategie. Autor international beachteter Sachbücher und Berater für Kommunikationsprozesse mit Tiefgang.

Dr. Sebastián Marincolo

Inhaltsverzeichnis

In den letzten Jahren etabliert sich immer mehr die Nutzung von Vaporisatoren für die Nutzung von Cannabis-Produkten als Alternative zu anderen Einnahmeformen. Vaporisatoren sollten dabei klar von Vape Pens unterschieden werden. Vaporisatoren sind meist leistungsstärkere Geräte mit präzise einstellbaren Temperaturen von ca. 180°C-220°C, die getrocknete Cannabisblüten oder Konzentrate in einer speziellen Heizkammer schonend verdampfen, während Vape Pens kompakte Geräte sind, die vor allem für vorgefüllte Öl- oder Liquid-Kartuschen konzipiert sind.

Dabei nutzen Vaporisatoren Konvektion, Konduktion oder beides. Konduktion bedeutet, dass das Pflanzenmaterial durch Kontakt mit einer heißen Oberfläche erhitzt wird. Das sorgt für schnelles Aufheizen und dichte Dampfwolken, birgt aber das Risiko einer ungleichmäßigen Erhitzung und möglicher Verbrennung. Konvektion hingegen nutzt einen heißen Luftstrom: Die Luft wird im Gerät erhitzt und dann durch das Pflanzenmaterial geleitet. Dabei werden die Wirkstoffe und Aromen durch die vorbeiströmende Luft gelöst und als Dampf aufgenommen. Diese Methode sorgt für eine gleichmäßigere, schonendere Erhitzung und ein intensiveres Aroma. Zum Vergleich: beim Erhitzen eines Joints entstehen in der Glut Temperaturen von 800°C -1100°C beim Ziehen.

Decarboxylierung: Umwandlung mit Hitze

Neben den Cannabinoiden wie THCa und CBDa, die in der frischen Cannabispflanze vorliegen und erst durch Erhitzen decarboxyliert und in ihre wirksamen Formen THC und CBD umgewandelt werden, betrifft dieser Prozess auch andere wichtige Pflanzenstoffe wie weitere Cannabinoide, Terpene und Flavonoide. Terpene, die für das Aroma und ebenfalls für die Wirkung von Cannabis verantwortlich sind, sind besonders hitzeempfindlich: Sie verdampfen und verändern sich je nach Temperatur, wobei zu hohe Temperaturen zu ihrem Abbau führen können.

Auch Flavonoide, die für Farbe, Geschmack und möglicherweise zusätzliche Effekte sorgen, werden durch Hitzeeinwirkung umgewandelt und besitzen jeweils eigene Verdampfungspunkte. Deshalb ist eine schonende, temperaturkontrollierte Erhitzung hilfreich, um das volle Wirkungspotenzial der Cannabispflanze zu bewahren.

Verschiedene Substanzen verdampfen bei unterschiedlichen Temperaturen

Durch variable Temperatureinstellungen bei Vaporisatoren haben Cannabisnutzer die Möglichkeit, auch das Wirkprofil von Blüten oder Vollspektrum-Extrakten von Cannabis mit einer Vielzahl von Inhaltsstoffen zu beeinflussen. Die unterschiedlichen Cannabinoide, Terpene und Flavonoide und weitere Substanzen haben jeweils unterschiedliche Temperaturen unter Normaldruck, bei denen sie im Vaporisator verdampfen. So kann man in bestimmten Temperaturbereichen bei der gleichen Sorte von Cannabisblüten oder bei Nutzung von spezifischen Extrakten ganz verschiedenen Wirkstoffkombinationen in den Dampf abgeben und damit auch unterschiedliche Wirkungen erzielen.

Seit Jahren machen sich das viele Cannabisnutzer weltweit zunutze und variieren Temperaturen, wenn sie medizinische oder andere Cannabisprodukte vaporisieren, um bestimmte Wirkungen zu erzielen. Allerdings gehen die Meinungen auseinander, wie genau die Wahl der Temperatur tatsächlich die Wirkung beeinflusst.

Wenn wir hier etwas tiefer gehen wollen, sollten wir uns zuerst ansehen, wie sich verschiedene Temperaturen auf die Freisetzung verschiedener pflanzlicher Substanzen auswirken.

Temperaturgesteuerte Freisetzung: Wissenschaftliche Daten

Viele Informationsquellen geben zur Orientierung Siedepunkttabellen einzelner Cannabinoide oder der Terpene und Flavonoide an, wobei oft z.B. Siedetemperaturen von 157°C für THC und 180°C für CBD angegeben werden. Dies ist zwar korrekt, allerdings auch irreführend, da sich diese Angaben auf Bedingungen im Vakuum beziehen. In Vaporisatoren herrscht allerdings Normaldruck - es sei denn, wir wollen angeben, wie es ist, wenn Astronauten auf dem Mond vaporisieren. Unter normalem Luftdruck auf Meereshöhe liegen die Siedepunkte von THC bei 400°C, von CBD bei 463°C. In Vaporisatoren verdampfen Wirkstoffe allerdings bereits bei niedrigeren Temperaturen durch Verdunstung bzw. Sublimation, nicht durch Sieden.

Cannabinoide und Terpene verdampfen also nicht wie oft angegeben bei konkreten "Siedepunkten", sondern durch Sublimation bzw. Verdunstung über einen Temperaturbereich, abhängig von Druck und Umgebungsbedingungen. Oft bleibt auch unerwähnt, dass sich bestimmte Wirkstoffe bei höheren Temperaturen zersetzen, wie zum Beispiel Delta-9 THC oder CBD, die sich ab 200°C unter anderem zu Cannabinol (CBN) zersetzen. Hier also eine Tabelle, um diese Einsichten für THC darzustellen:

 

Prozess

Temperatur

Bedingungen

Erklärung

Verdunstung/Sublimation

170-190°C

Normaldruck (760 Torr)

THC verdampft allmählich durch Sublimation (fest → gasförmig) oder Verdunstung. Kein Sieden!

Maximale Freisetzung

180-200°C

Normaldruck

Optimale THC-Ausbeute im Dampf, da Zersetzung noch minimal

Siedepunkt

155°C

Unter Vakuum (0,05 Torr)

Laborkontext: THC "siedet" bei stark reduziertem Druck

Siedepunkt

>400°C

Normaldruck

Theoretischer Wert, in der Praxis irrelevant (Zersetzung ab 200°C)

Zersetzung zu CBN

>200°C

Normaldruck

THC zerfällt zu Cannabinol (CBN) - möglicherweise hat dies synergistisch mit THC eine sedierende Wirkung, allerdings gibt es auch nur eine geringfügige Umwandlung bei dieser Temperatur bei kurzer Erhitzung im Vaporisator

 

Im Folgenden gebe ich gemäß dieser Überlegungen eine aussagekräftigere Tabelle für einige Cannabinoide, Terpene und Flavonoide, was deren Verdunstung und maximale Freisetzung unter Normaldruck im Vaporisator betrifft, sowie die Temperaturen, bei denen sie sich zu zersetzen beginnen:

Verbindung

Verdunstung/Sublimation (Start)

Maximale Freisetzung

Zersetzung ab

Cannabinoide

 

 

 

THC

170-180 °C

180-200 °C

>200 °C

CBD

170-185 °C

185-200 °C

>220 °C

CBG

110-130 °C

130-140 °C

>160 °C

THCV

210-220 °C

220-230 °C

>240 °C

Terpene

 

 

 

Myrcen

130-150 °C

160-170 °C

>190 °C

β-Caryophyllen

140-150 °C

160-170 °C

>180 °C

Limonen

150-160 °C

170-180 °C

>190 °C

Linalool

160-170 °C

190-200 °C

>210 °C

α-Pinen

140-150 °C

155-160 °C

>180 °C

Flavonoide

 

 

 

Cannflavin A

180-190 °C

195-200 °C

>210 °C

 

Strategien für die Vaporisation von THC- und CBD-Blüten

Was können wir also genau darüber sagen, wie wir mit einem Vaporisator die Wirkungsprofile von verschiedener Cannabisprodukte beeinflussen können? Viele Nutzer haben berichtet, dass veraltetes Cannabis, in dem sich unter anderem THC zu CBN (Cannabinol) zersetzt hat, eher zu sedierenden Effekten führte. Da auch höhere Temperaturen in einem Vaporisator zu höheren CBN-Gehalten und auch zur chemischen Umwandlung anderer natürlicher Stoffe führt, könnten möglicherweise höhere Temperaturen in einem Vaporisator tatsächlich eher für sedierende Zwecke genutzt werden.

In Sorten, z.B. mit hohem Anteil eines möglicherweise in Synergie mit THC eher beruhigenden Terpens wie Linalol könnte es zusätzlich so sein, dass es bei höheren Temperaturen (bei Linalol ab 198°C) zur maximalen Freisetzung kommt und dieses Terpen dann in Synergie mit anderen Substanzen wie THC sedierend wirkt. Bislang gibt es leider nur sehr wenige wissenschaftliche Evidenzen zur These der Sedierung bei höheren Temperaturen oder bei veraltetem Cannabis, welche eine solche Hypothese stützen.

Können wir durch die Wahl der Temperatur weitere Wirkungen beeinflussen? Viele Online-Informationsquellen basieren auf relativ schwache Evidenzen in Bezug z.B. auf einzelne Terpene und leiten dann Wirkungen davon ab, in welcher Quantität diese in den Körper gelangen. Gemessen an der Komplexität der Synergieeffekte halte ich viele dieser Aussagen für überwiegend spekulativ, wenn auch einige durchaus korrekt sein könnten. Von manchen Aussagen kann auch bereits gesagt werden, dass sie durchaus schon als Hypothese durch begrenzte präklinische Daten und Erfahrungsberichte gestützt werden, wie z.B. dass das Terpen Myrcen in Synergie mit THC möglicherweise sedierende Wirkungen erzeugt.

Fazit

Mit Vaporisatoren kann man steuern, welchen Wirkstoffmix man aus Cannabis aufnimmt und kann damit die Wirkung modulieren. Ich empfehle Nutzern allerdings, Informationen von vielen Cannabisportalen kritisch zu betrachten und sich nicht zu sehr von voreiligen Marketing Behauptungen leiten zu lassen.

Cannabis ist wie ein Werkzeug und gewissermaßen wie ein Surfboard: nur wenn ich Kenntnisse und Fähigkeiten erwerbe, dieses Werkzeug zu nutzen, kann ich sein Potential besser nutzen. Ich brauche eine gewisse Persistenz bzw. Ausdauer, um in achtsamem Experimentieren herauszufinden, wie ich verschiedene Faktoren beeinflussen kann - Auswahl der Sorte, Methode der Einnahme, Dosis, Wahl der Temperatur im Vaporisator und der Wahl der Umgebung - um damit bestimmte Wirkprofile zu erhalten. In meinem Buch ELEVATED nenne ich dies den PERMIS-(Persistent Mindful Surfer) Ansatz.

Wichtig ist, sich in vielerlei Hinsicht zu beobachten: wie verändert sich meine Stimmung, werde ich müde, bleibe ich mental klar oder fühle ich mich verwirrt, verändert sich mein Schmerzempfinden? Fühlt sich die Wirkung energetisierend an, oder entspannend, geht die Wirkung stark auf den Köper, gibt es aphrodisierende Effekte? Nutzer, die lernen, sich hier auf vielen Ebenen zu beobachten, werden definitiv besser Risiken minimieren können und einen höheren Nutzen aus ihrem Cannabisgebrauch ziehen.

 

Quellen

Abrams, D. I., Vizoso, H. P., Shade, S. B., Jay, C., Kelly, M. E., & Benowitz, N. L. (2016). Medicinal Cannabis: In Vitro Validation of Vaporizers for the Smoke-Free Inhalation of Cannabis. PLOS ONE, 11(1), e0147286. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0147286

Berman, P., Futoran, K., Lewitus, G. M., Mukha, D., Benami, M., Shlomi, T., & Meiri, D. (2023). Synergistic interactions between cannabinoids and terpenes. Biochemical Pharmacology, 212, 115464. https://doi.org/10.1016/j.bcp.2023.115464

Citti, C., Linciano, P., Panseri, S., Vezzalini, F., Forni, F., Vandelli, M. A., … & Cannazza, G. (2016). A novel phytocannabinoid isolated from Cannabis sativa L. with an in vivo cannabimimetic activity higher than Δ9-tetrahydrocannabinol. Scientific Reports, 9(1), 20335. https://doi.org/10.1038/s41598-019-56785-1

DFG-Senatskommission. (2025). Bewertung von CBD in Lebensmitteln. Deutsche Forschungsgemeinschaft.

Frontiers in Chemistry. (2022). Effect of temperature in the degradation of cannabinoids. Frontiers in Chemistry, 10, 891487. https://doi.org/10.3389/fchem.2022.891487

LaVigne, J. E., Hecksel, C. W., Keresztes, A., Streicher, J. M., & Mackie, K. (2021). Cannabis sativa terpenes are cannabimimetic and selectively enhance cannabinoid activity. Scientific Reports, 11(1), 8232. https://doi.org/10.1038/s41598-021-87740-8

Lovestead, T. M., & Bruno, T. J. (2019). Determination of Cannabinoid Vapor Pressures to Aid in Vapor Phase Detection. Analytical Chemistry, 91(15), 9563-9572. https://doi.org/10.1021/acs.analchem.9b00839

Mally, A., Müller, S., & Winkler, J. (2025). CBD in Lebensmitteln: Nutzen und Risiken. Nutrients, 17(3), 112-130. https://doi.org/10.3390/nu170x

Marincolo, S. (2023). Elevated: Cannabis as a Tool for Mind Enhancement. Hilaritas Press.

PMC. (2016). Decarboxylation Study of Acidic Cannabinoids: A Novel Approach. Molecules, 21(10), 1344. https://doi.org/10.3390/molecules21101344

PMC. (2022). Postharvest operations of cannabis and their effect on cannabinoid stability. Molecules, 27(15), 4528. https://doi.org/10.3390/molecules27154528

Russo, E. B. (2011). Taming THC: Potential cannabis synergy and phytocannabinoid-terpenoid entourage effects. British Journal of Pharmacology, 163(7), 1344-1364. https://doi.org/10.1111/j.1476-5381.2011.01238.x

Yang, Y., Lewis, J., & McCurdy, C. R. (2021). Stability of cannabidiol, Δ9-tetrahydrocannabinol, and cannabinol. Molecules, 26(18), 5637. https://doi.org/10.3390/molecules26185637

← Älterer Post Neuerer Post →

Wissenswertes

RSS

High oder Stoned? CBN, Myrcen, und das Ende von Sativa/Indica

"Hey man, am I driving okay?" "I think we're parked, man." Cheech and Chong in "Up in Smoke" (1978)   Nutzer haben immer wieder berichtet,...

Weiterlesen
Cannabis und Kreativität: Neue Perspektiven, Teil II

Cannabis und Kreativität: Neue Perspektiven, Teil II

"Es besteht kein Zweifel, dass Kreativität die wichtigste menschliche Ressource überhaupt ist. Ohne Kreativität gäbe es keinen Fortschritt und wir würden ewig die gleichen Muster...

Weiterlesen