Cannabis und die Verhexung der Sprache

Cannabis und die Verhexung der Sprache

Vordenker an der Schnittstelle von Philosophie, Bewusstseinsforschung und Markenstrategie. Autor international beachteter Sachbücher und Berater für Kommunikationsprozesse mit Tiefgang.

Dr. Sebastián Marincolo

Vordenker an der Schnittstelle von Philosophie, Bewusstseinsforschung und Markenstrategie. Autor international beachteter Sachbücher und Berater für Kommunikationsprozesse mit Tiefgang.

Inhaltsverzeichnis

"Die Philosophie ist ein Kampf gegen die Verhexung unseres Verstandes durch die Mittel unserer Sprache."

Ludwig Wittgenstein, Tractatus Logico-Philosophicus (1922)

Als sprachanalytischer Philosoph habe ich mich lange intensiv mit der Rolle der Sprache für unser Denken beschäftigt. Die zentrale Einsicht der Sprachanalyse ist, dass unser Denken maßgeblich durch die Art und Weise geprägt wird, wie wir Sprache verwenden, und alle unsere Handlungen basieren auf unserem Denken. Deshalb ist es unerlässlich, unsere Sprache kritisch zu reflektieren, um zu klareren und tieferen Einsichten zu gelangen - und unser Handeln danach auszurichten.

Bereits vor über 25 Jahren habe ich mich auf kontemporäre Bewusstseinstheorien fokussiert und deshalb intensiv den veränderten Bewusstseinszustand des Cannabis Highs erforscht. Je länger ich dazu forschte, desto offensichtlicher wurde für mich, wie stark unser Denken in Bezug auf Cannabis vor allem seit den 1930er Jahren in den USA durch gezielte Manipulation verzerrt wurde - und wie die uns überlieferte Sprache bis heute unser Denken und Handeln "verhext".

Warum unsere Sprache über Cannabis die Debatte vergiftet

Die Sprache und Metaphorik rund um Cannabis haben unsere Perspektive auf die Pflanze tiefgreifend geprägt und beeinflussen bis heute nicht nur den Umgang mit THC-haltigem Cannabis, sondern auch mit Nutzhanf und dem daraus gewonnenen Cannabidiol (CBD). Jahrzehntelange staatliche Propaganda führten zu einem anhaltenden Stigma, das Hanf pauschal als gefährlich und unerwünscht brandmarkte. Diese negative Konnotation schlug sich in strengen Regularien auch für Nutzhanf und CBD nieder: Nutzhanf durfte entweder gar nicht oder später erst unter so extrem strengen Auflagen angebaut werden und in vielen Ländern gibt es immer noch keine eindeutigen und sinnvollen Regularien bezüglich von CBD Produkten. (In der Schweiz gibt es zum Glück bereits klare Regulierungen von Hanf- und CBD-Produkten und HEIMAT garantiert durch strenge Qualitäts- und Inhaltskontrollen, dass diese eingehalten werden.)

Das durch die Sprache weiter getragene Stigma bezüglich Cannabis und Hanf führt seit Jahrzehnten immer noch zu Scham, Missverständnissen, Angst und Zurückhaltung in der Gesellschaft.

Die Macht der Metaphern

Der einflussreiche Linguist und Kognitionswissenschaftler George Lakoff wurde vor allem durch seine Arbeiten zur Metapherntheorie und zur politischen Sprache bekannt. In seinem einflussreichen Buch "Metaphors We Live By" (1980, mit Mark Johnson) argumentiert er, dass Metaphern unser gesamtes Weltbild formen - und er hat immer wieder betont, dass vor allem rechte Think Tanks (Denkfabriken) in den USA sich diese Tatsache gezielt in politischen Debatten zunutze machten, um diese Debatten durch Einführung bestimmter Metaphern zu strukturieren, ein Prozess, den er "framing" nennt.

So analysiert Lakoff z.B. die von George W. Bush im Präsidentschaftswahlkampf 2000 verwendete Metapher "tax relief" als ein klassisches Beispiel für politisches "Framing". Nach Lakoff ruft der Begriff "relief" ("Erleichterung, Linderung von Schmerzen") einen bestimmten Deutungsrahmen hervor: Der Steuerzahler ist eine unschuldige, leidende Person, die Ursache des Leidens sind die Steuern als Verletzung oder Krankheit, und es gibt einen Helden, die Politiker, die um Linderung ringen, indem sie die Steuern senken. Wer gegen diese "Linderung" argumentiert, wird im Frame automatisch zum Bösewicht, der das Leiden aufrechterhalten will.

Lakoff wies die Demokraten darauf hin, dass sie einen großen Fehler begingen, den Begriff "tax relief" überhaupt in der Debatte aufzunehmen, weil die Metapher dahinter fundamental ihrem eigenen Weltbild widerspricht. Die Sicht der Demokraten sei ja, dass angemessene Steuern mit höheren Steuersätzen für Vermögende prinzipiell keine "Verletzung" darstellen, sondern eine gute Investition für eine solidarische Investition z.B. in ein gutes Gesundheitssystem sind, wovon dann alle profitieren.

Es gab keinen "War on Drugs"

Auch der Begriff "War on Drugs" wurde 1971 von einem US-Präsidenten, nämlich von Richard Nixon, geprägt und für politische Zwecke eingesetzt. Die Medien griffen seine martialische Metapher unmittelbar auf und machten sie zum festen Bestandteil der politischen und gesellschaftlichen Debatte in den USA und international.

Bei genauer Ansicht ist diese Metapher aber grundlegend falsch: es gab niemals einen "Krieg gegen die Drogen". Viele Substanzen, die wir unter den Begriff "Droge" fassen würden, wurden und werden keinesfalls bekämpft, wie zum Beispiel Alkohol, Arzneimitteldrogen wie Ibuprofen, oder auch Kaffee. Es handelt sich auch nicht um einen "Krieg" - Kriege finden zwischen unter zumindest halbwegs ebenbürtigen Gegnern statt - sondern um eine unerbittliche staatliche Repression bestimmter Menschen - vor allem Konsumenten von Cannabis, nicht hauptsächlich gegen die Substanzen selbst. Die Metapher impliziert auch, dass alle "Drogen" eine tödliche Gefahr für den Menschen darstellen, die man besiegen muss. Dies ist geradezu lächerlich, wenn man sich die Etymologie und die Bedeutung des Wortes noch heute genauer betrachtet: Ursprünglich stammt der Begriff aus dem Niederländischen, "droog" bzw. dem Mittelniederdeutschen "dröge", was "trocken" bedeutet. Im mittelalterlichen Handel bezeichnete die Wendung "droge vaten" ("trockene Fässer") Behälter für Trockenwaren wie Gewürze und getrocknete Heilpflanzen. In den USA gibt es heute immer noch "drug stores", in denen man verschiedene Arzneimittel bekommen kann.

Die tatsächliche Motivation hinter Nixons angeblichem "Krieg gegen die Drogen" war eine andere, wie sein Berater John Ehrlichmann 1994 in einem Interview verriet. Historische Dokumente zeigen, dass der "War on Drugs" unter Nixon gezielt lanciert wurde, um politische Gegner - die überwiegend linke Anti-Kriegsbewegung in Bezug auf den Vietnamkrieg und Schwarze Communities - zu kriminalisieren. John Ehrlichman, Nixons Berater, gestand 1994 in einem Interview: "Wir konnten Kriegsgegner oder Schwarze nicht verbieten, aber indem wir sie mit Drogen assoziierten, konnten wir ihre Gemeinschaften zerstören (...) Wussten wir, dass wir über die Drogen gelogen haben? Natürlich wussten wir das.""

Es gab also in diesem Sinn nie ein "war on drugs". Was wir erlebten und teilweise immer noch sehen, ist eine teils brutale, staatlich durchgesetzte Repression weltweit, die zu Leid in epischem Ausmass geführt hat.

Nicht nur Metaphern prägen unser Weltbild

Aufgrund langer sprachlicher Manipulationen wie dieser ist auch das Wort "Droge" ist kein neutraler Oberbegriff mehr; er ist auch wissenschaftlich gesehen nicht gut definiert. Er transportiert historisch aufgeladene Assoziationen von gefährlicher Giftigkeit, hohem Suchtpotential und Illegalität. Es macht deswegen mehr Sinn, den Begriff "psychoaktive Substanz" zu verwenden, wenn wir von Substanzen sprechen, die unseren psychischen Zustand signifikant beeinflussen, sowie Kaffee, Zucker, Alkohol, Cannabis bis hin zum LSD.

Nicht nur fragwürdige Metaphern tragen falsche Weltbilder über psychoaktive Substanzen weiter. In der Presse wird immer wieder berichtet, ein dass zum Beispiel ein Rockstar durch exzessiven Gebrauch von "Alkohol und Drogen" gestorben sei. Wenn ich meinen Kindern von ihrer frühester Kindheit an erzähle, dass es im Zoo "Elefanten und Tiere" gibt, werden sie irgendwann Elefanten als etwas Besonderes ansehen, nicht als Tiere. Wenn ich ihnen immer wieder von "Alkohol und Drogen" erzähle, werden sie verinnerlichen, dass Alkohol eben keine Droge ist - quasi eine linguistische Fehlkonditionierung.

Oder betrachten wir die notorische Verwendung des Wortes "Kiffer" selbst in der Mainstream-Presse für Cannabisnutzer: Hier weist der Wortursprung zwar auf eine positive Bedeutung hin; es geht wohl auf das arabische كَيْفَ (kayf) zurück, welches "Wohlbefinden, gute Laune" bedeutet. Inzwischen ist der Begriff aber durch jahrzehntelange geringschätzige Verwendung assoziiert mit Faulheit, mangelnder Produktivität, verwahrlostem Auftreten, usw. Studien zeigen, dass solche stigmatisierenden Labels die Wahrnehmung von Cannabiskonsumenden als "Problemgruppe" verfestigen, selbst bei moderatem Gebrauch.

Fazit:

Wenn wir gesellschaftlich vorankommen wollen, müssen wir unsere Sprache in Bezug auf Cannabis und andere psychoaktive Substanzen kritisch reflektieren. Unsere Sprache über Cannabis ist vergiftet - von Metaphern, Begriffen und sprachlichen Redewendungen, die Angst schüren und Sachlichkeit blockieren. Doch wie Lakoff betont: Neue Framings können neue Realitäten schaffen. Indem wir präzise, entstigmatisierende Begriffe wählen, öffnen wir den Raum für rationale Debatten.

Quellen

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2. Baum, D. (2016). Legalize it all: How to win the war on drugs. Harper's Magazine.

3. Ahern, J., Stuber, J., & Galea, S. (2007). Stigma, discrimination and the health of illicit drug users. Drug and Alcohol Dependence, 88(2-3), 188-196. https://doi.org/10.1016/j.drugalcdep.2006.10.014

4. Lakoff, G., & Johnson, M. (1980). Metaphors We Live By. University of Chicago Press.

5. Peniche, M. (2017). The War on Drugs: An Analysis of the Rhetoric According to Richard Weaver's Theory of Ultimate Terms (Master's thesis, Liberty University). https://digitalcommons.liberty.edu/masters/383

6. Skliamis, S., et al. (2022). Cannabis users and stigma: A cross-national study. European Journal of Criminology, 19(6), 1482-1501. https://doi.org/10.1177/1477370820983560

7. Marincolo, S. (2015). What Hashish Did To Walter Benjamin: Mind-Altering Essays on Marijuana. Khargala Press.

8. Meier, M. H., & White, H. R. (2018). Stigmatization of cannabis users: A review of population-based studies. Drug and Alcohol Dependence, 191, 234-241. https://doi.org/10.1016/j.drugalcdep.2018.07.044

9. Mortensen, K., et al. (2019). Cannabis stigma and perceptions: A systematic review. Addictive Behaviors, 98, 106110. https://doi.org/10.1016/j.addbeh.2019.106110

10. Wittgenstein, L. (1922). Tractatus Logico-Philosophicus. Routledge & Kegan Paul.

11. Fillmore, C. J. (1982). Frame semantics. In Linguistic Society of Korea (Ed.), Linguistics in the Morning Calm (pp. 111-137). Hanshin.

12. Goffman, E. (1963). Stigma: Notes on the Management of Spoiled Identity. Prentice-Hall.

13. Ehrlichman, J. (1994). Interview by Dan Baum. In: Baum, D. (2016). Smoke and Mirrors: The War on Drugs and the Politics of Failure.-

14. Lakoff, G. (2004). Don't Think of an Elephant! Know Your Values and Frame the Debate. Chelsea Green Publishing.

15. HvA Research Database. (2022). Cannabis users and stigma. https://research.hva.nl/files/28219826/1477370820983560_2_.pdf

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