Das Plädoyer des Schweizer Islamwissenschaftlers Rudolph Gelpke gegen die westliche Cannaphobie

Das Plädoyer des Schweizer Islamwissenschaftlers Rudolph Gelpke gegen die westliche Cannaphobie

Vordenker an der Schnittstelle von Philosophie, Bewusstseinsforschung und Markenstrategie. Autor international beachteter Sachbücher und Berater für Kommunikationsprozesse mit Tiefgang.

Dr. Sebastián Marincolo

Vordenker an der Schnittstelle von Philosophie, Bewusstseinsforschung und Markenstrategie. Autor international beachteter Sachbücher und Berater für Kommunikationsprozesse mit Tiefgang.

Inhaltsverzeichnis

"Im Orient gilt der Rausch als göttliches Geschenk, das den Menschen an das Übersinnliche heranführt; der westliche Mensch dagegen sucht eher, sich zu vergessen."

Rudolf Gelpke, Vom Rausch im Orient und im Okzident, 1966

Die Menschheit nutzte Cannabis und andere psychoaktive Pflanzen und deren Derivate seit Jahrtausenden für medizinische Zwecke, aber auch gezielt, um veränderte Bewusstseinszustände zu erzeugen. Warum aber erleben wir gerade in der westlichen Moderne eine derartige Cannaphobie, die so groß ist, dass sie auch THC- arme Produkte wie Hanf oder CBD-Öle betrifft, während eine weitaus toxischere psychoaktive Substanz wie Alkohol weitestgehend akzeptiert ist?

Lag es hauptsächlich an der Prohibition des Drogenbeauftragten Harry G. Anslingers in den 1930er Jahren? Die Motiv seiner Prohibitionspolitik waren unter anderem wirtschaftlich, rassistisch und xenophobisch motiviert. Anslinger verfolgte unter anderem das Ziel, bestimmte Bevölkerungsgruppen wie afroamerikanische und mexikanische zu kriminalisieren und zu marginalisieren, was zur sozialen Kontrolle und einer Art "Rückführung" durch Ausgrenzung beitrug. Eine große Rolle hat wohl auch gespielt, dass er einer Behörde vorstand (Federal Bureau of Narcotics), welche durch das Ende der Alkohlprohibition ihr Arbeitsfeld - und damit auch Ihre Existenzberechtigung - zunehmend verlor. Zweifellos war Anslingers Wirken in den USA mit einer jahrzehntelangen Desinformationakampagnen weltweit einflussreich, die weltweit immer noch stark nachwirkt: Anslinger war letztendlich dafür verantwortlich, dass seine Prohibition in der UN-Charta verankert wurde.

Liegt aber der Prohibition von Cannabis und vielen anderen psychoaktiven Substanzen eine tieferliegende kulturelle Phobie zugrunde, die wir in Betracht ziehen müssen? Möglicherweise können wir mit einem historischen blick auf den Umgang vergangener Kulturen mit Cannabis besser zu verstehen, warum sich unsere Gesellschaft heute so schwer tut, den Wert bewusstseinsverändernder Substanzen wie Cannabis anzuerkennen und nicht überzogen panisch auf deren Wirkung zu reagieren.

Rudolf Gelpke, Wanderer zwischen Orient und Okzident

In den turbulenten 1960er Jahren, als sich der Westen in einer tiefen Krise der Moderne befand und Millionen junger Menschen nach spirituellen Alternativen und neuen Lebensmodellen suchten, formulierte ein Schweizer Islamwissenschaftler aus Basel eine Kulturkritik des Westens, die noch heute von Interesse ist. Rudolf Gelpke (1928-1972), ein Mann zwischen den Welten, der sein Leben der Erforschung des Orients und der menschlichen Bewusstseinszustände widmete, beschrieb 1966 in seinem bahnbrechenden Werk "Vom Rausch im Orient und Okzident" eine fundamentale kulturelle Wende bezüglich der Dominanz westlicher Kultur: Nach der "äußeren Verwestlichung der Welt" werde eine "innere Veröstlichung des Westens" folgen.

Diese These basierte auf den intensiven Lebenserfahrungen eines Forschers, der wie kaum ein anderer beide Welten durchdrungen hatte. Er studierte Islamwissenschaften bei Fritz Meier, einem der renommiertesten Kenner sufischer Mystik seiner Zeit. Doch Gelpkes Weg führte weit über die akademische Orientalistik hinaus: Er lebte jahrelang im Iran, heiratete eine Iranerin und konvertierte 1967 unter dem Namen Mostafa Eslami zum schiitischen Islam.

Was Gelpkes Arbeit jedoch von anderen Orientalisten unterschied, war seine systematische Erforschung bewusstseinsverändernder Substanzen als Schlüssel zum Verständnis mystischer Erfahrungen. Seine frühen Experimente mit Haschisch und Opium im orientalischen Kontext führten ihn zu einer Freundschaft mit seinem Schweizer Landsmann Albert Hofmann, dem Entdecker des LSD. Gemeinsam unternahmen sie, was Gelpke poetisch "Fahrten in den Weltraum der Seele" nannte - kontrollierte Selbstversuche, die seine wissenschaftliche Arbeit um eine existenzielle Dimension erweiterten.

Für Gelpke waren diese Erfahrungen nicht Selbstzweck, sondern Forschungsinstrumente. Sie öffneten ihm den Blick für das, was er als den fundamentalen Unterschiedlichkeit östlicher und westlicher Mentalität empfand.

Der Westen: Funktionalität, Sicherheit und "Freiheit"

Die Tiefe und Präzision, mit der Gelpke die Werte und Dynamik des modernen westlichen Kultur analysiert wurde ermöglicht durch seinen erweiterten Blickwinkel auf Basis seiner Erfahrungen und Kenntnisse östlicher Kulturen und, insbesondere des Islams. Bereits auf der ersten Seite beginnt Gelpke, die Pathologie der westlichen Kultur zu sezieren wie ein Chirurg, der einen Tumor freilegt:

"Eine der umworbendsten Götzen unserer Zeit heißt "Sicherheit". Seine Tempel sind die Paläste der Banken und Versicherungsgesellschaften und keinem Gott der Vergangenheit hat man je mehr und teurere gebaut. (...) Im Zeitalter der anonym gewordenen Demokratie, der abstrakten Menschenrechte, der Organisation und Organisationen, der Massen und Manager, der Statistik und des "Glücks der größten Zahl", der Atomzertrümmerung, Weltraumerfoschung und Automation - in einem solchen Zeitalter muss man das Leben jedes einzelnen über die Tatsache hinwegtäuschen, dass sie mehr und mehr zu bloßen, auswechselbaren Funktionen geworden sind, in einem sozialen und technischen Mechanismus von schon beinah ameisenstaatliche Präzision und Perfektionierung". (Gelpke 1982/EA 1966, S. 13)

Die immer perfektere Sicherung unserer Existenz, die uns dieser "Ameisenstaat" anbietet, gehört laut Gelpke zum Versprechen des ewigen Fortschritts, und dieses Versprechen trägt dazu bei, dass wir unseren Käfig nicht verlassen. Was eigentlich zählt in unserer westlichen Gesellschaft sind "Leistungsprinzip, Zweckdenken und Zukunftsglauben". Gleichzeitig propagiere der Westen die Freiheit des Individuums - eine Freiheit, die aber nicht wirklich das ist, was sie zu sein vorgibt. Gelpke zitiert den persischen Gelehrten Mojtaba Minowi, um aufzuzeigen, dass der westliche und der östliche Freiheitsbegriff grundverschieden sind. Im Westen bedeutet demnach "Freiheit" immer mehr Bedürfnisse zu schaffen, die dann auch alle befriedigt werden, während man im Osten der Überzeugung sei, "man müsse immer mehr Bedürfnisse abbauen, um äußerlich und innerlich unabhängig werden." [1]

Generell, so Gelpke, sei auch das Idealbild des Menschen im Westen vollkommen anders als im Osten. Im Westen sieht er den "faustischen Täter" - ein Tatmensch mit einem radikalen Drang nach Wissen, Fortschritt und Macht. In der Tradition vieler östlicher Kulturen sieht er dagegen drei Gestalten, die zusammen ein menschliches Ideal bilden: den gerechten Herrscher, den absoluten Liebhaber, und den mystischen Gottsucher.

Hier kommen zwei für uns hier wichtige zwei Aspekte zum Tragen, welche die östliche Kultur fundamental von der westlichen unterscheiden. Während der Westen beeinflusst vom Christentum ein asketisches Ideal hochhält, spielen Liebe und Erotik eine vollkommen andere, positive Rolle und sind tief in das östliche Ideal integriert. Dazu gehört auch, dass es bei der erotischen Verschmelzung zu einer vollkommenen Auflösung des Egos kommt. Auch die mystische Gottsuche, die durch eine Bewusstseinsreise nach innen erfolgt, ist mit einer angestrebten vollkommenen Auflösung des Ichs verbunden; dementsprechend sehen wir nach Gelpke auch eine fundamental andere Einstellung zum Tod in diesen Traditionen.

Basierend auf dieser Analyse bewertet Gelpke auch den beispiellosen "Siegeszug der westlichen Kultur", die sich selbst als "kulturell" überlegen sieht. Die Überlegenheit der westlichen Kulturen, so Gelpke, ist nicht wirklich eine "kulturelle" in einem positiven Sinn:

"Die Eroberung Indiens durch die Engländer oder Indonesiens durch die Holländer sind Siege skrupelloser Geschäftsmethoden, gut organisierter Profitgier und technischer Dynamik über die statische Schwerfälligkeit und aristokratische Lässigkeit äußerst komplizierter Gesellschaftshierarchien, die zu viel Lebensart, Lebensfreude und Sinn für Form, Spiel und Spielregeln besaßen, um diesen so praktisch denkenden Händlern und puritanischen Rechnern aus dem Westen auf die Dauer gewachsen zu sein." (Gelpke 1982/EA 1966, Seite 23)

Der "Rausch" im Orient und im Okzident

Ausgehend von diesen Analysen kommt Gelpke zu einer interessanten Beobachtung über die Bewertung von psychoaktiven Substanzen in der östlichen und der westlichen Kultur:

"Wir stoßen hier auf einen Punkt von größter Wichtigkeit: der Orientale steht zum Phänomen "Rausch" in einem grundsätzlich anderen Verhältnis als der Abendländer. Für diesen ist die Realität die Außenwelt. Infolgedessen wird er immer versucht sein, jede Lebensform, jede Ansicht und überhaupt alles, was den Menschen vom äußeren Tun abhält, als "Fluch" vor und aus der Realität zu verurteilen. Der Orientale nimmt den entgegengesetzten Standpunkt ein: für ihn ist der "Weg nach innen" die mystische Reise , die einzige Wirklichkeitserfahrung, die Raum und Zeit, und damit den Schleier des Vergänglichen, durchstößt. Daher "flieht", von ihm aus gesehen, wer nach außen lebt: der Tatmensch."

(Gelpke 1982/EA 1966, Seite 53-54)

Hier ist anzumerken, dass der Begriff "Rausch" in Bezug auf veränderte Bewusstseinszustände wie solche ausgelöst von Cannabis eigentlich irreführend ist. Der deutsche Begriff "Rausch" geht zurück auf das Mittelhochdeutsche Wort "rūsch", dessen Bedeutung auch mit "Rauschen, rauschende Bewegung, Ungestüm, Toben" angegeben wird. Das Verb "rūsen" bedeutet soviel wie "lärmen, tosen, rasen und schreien". Die aggressive Komponente in "Rausch" schwingt noch heute mit und kommt zum Beispiel auch in den Begriffen "Kampfrausch" und "Blutrausch" zum Ausdruck.

Gelpke selbst hinterfragt den Begriff und merkt an, dass der Begriff "Rausch" im Westen stark geprägt ist von der Wirkung des Alkohols, und dass diese natürlich stark zu unterscheiden ist von Substanzen wie Opium oder Haschisch. Ich werde im Folgenden deshalb auch statt "Rausch" von einem "veränderten Bewusstseinszustand" sprechen, um diese Irreführung zu vermeiden.

Gelpke beschreibt mehrere Aspekte, warum der Westen den Alkohol bevorzugt, während man im Osten Substanzen wie Opium oder Haschisch bevorzugt. Im Westen nutze man Alkohol, um noch enthemmter seinen Willen umzusetzen und seine Wünsche in der Außenwelt zu realisieren. Dagegen werden Substanzen wie Opium und Haschisch oft so beschrieben, dass sie den "Willen lähmen" - das war vor allem auch der Einwand des französischen Dichters Charles Baudelaire gegen Haschisch. Im Osten hingegen sei letzteres kein Problem, da z.B. Haschisch, auch Waraq olchiâl ("Blatt der Imagination") oder Dugh-e wahdat ("Sauermilch der göttlichen Einheit") genannt die Imagination beflügeln und eine innere, mystische Reise ermögliche, die letztendlich zur Vereinigung mit dem Göttlichen und damit zur Selbstauflösung führt, ein Prozess, der im menschlichen Ideal des Ostens verankert ist.

Wie haben Cannabis oder Opium und die damit induzierten veränderten Bewusstseinszustände im Osten die Kunst und Kultur beeinflusst? Gelpke argumentiert, dass dieser Einfluss enorm war und erzählt von seinen Begegnungen mit persischen Berufs-Erzählern, Sängern, Tänzern, Dichtern und anderen Künstlern, die ihm bestätigt haben, dass sie Haschisch oder Opium für ihre Arbeit nutzten.

Was wir von Gelpke lernen können

Diese Ausführungen stellen nur einige wichtige Kernideen und Leitmotive in Gelpkes hervorragend recherchierten und nuancierten Buch dar. Ich kann es nur jedem ans Herz legen, der ein Interesse an den darin angesprochenen Themen hat. Wir können daraus auch heute noch, fast 60 Jahre später, einige wichtige Lektionen lernen:

1. Kulturelle Selbsterkenntnis

Unsere Sicht auf die Wirkungen bestimmter psychoaktiver Substanzen ist nicht nur von deren tatsächlicher Wirkung auf uns geprägt, sondern ist tief verwurzelt in unseren kulturell geprägten Werten und menschlichen Idealen. Nur ein tieferes Verständnis dieses komplexen kulturellen Hintergrundes ermöglicht es uns, Ängste und Haltungen in Bezug auf Cannabis oder andere Substanzen zu verstehen und diesen konstruktiv zu begegnen. Wir können diesen Prozess als kulturelles Selbsterkenntnis bezeichnen. Umso besser ich verstehe, wie mich eine bestimmte Kultur geprägt hat, umso besser werde ich verstehen, worin meine Haltung zu bestimmten Substanzen wurzelt.

Die westliche Cannaphobie ist nicht primär wissenschaftlich begründet, sondern entspringt einem kulturellen Weltbild, das Produktivität über Kontemplation, äußere Leistung über innere Erfahrung stellt. Diese Erkenntnis ist der erste Schritt zu einem rationaleren Umgang mit psychoaktiven Substanzen.

2. Die Wirkung verschiedener Substanzen auf unsere historische kulturelle Entwicklung

Gelpke erkannte, dass verschiedene psychoaktive Substanzen unterschiedliche kulturelle Entwicklungen fördern. Alkohol, im Westen kulturell akzeptiert, verstärkt tendenziell extrovertierte, gesellige Verhaltensweisen und passt damit zur westlichen Betonung sozialer Aktivität und äußerer Leistung. Cannabis hingegen fördert eher introspektive, kontemplative Zustände - Eigenschaften, die der westlichen Leistungsgesellschaft suspekt erscheinen, jedoch für spirituelle und kreative Entwicklung von unschätzbarem Wert sein können.

3. Bewusstseinserweiterung als kultureller Austausch

Gelpkes Vision der "inneren Veröstlichung des Westens" zeigt, dass kultureller Wandel oft durch die Übernahme fremder Bewusstseinstechniken geschieht. Die Integration östlicher Meditationspraktiken und bewusstseinsverändernder Substanzen in westliche Kontexte ist nicht für sich genommen kulturelle Appropriation, sondern notwendige Erweiterung unseres geistigen Horizonts.

Dieser Prozess erfordert jedoch Respekt und Verständnis für die ursprünglichen kulturellen Kontexte. Wenn westliche Menschen Cannabis oder Psychedelika nutzen, sollten sie sich besser der jahrtausendealten spirituellen Traditionen bewusst sein, aus denen diese Praktiken stammen.

4. Cannabis als Brückenbauer zwischen Kulturen

Ein besonders aktueller Aspekt von Gelpkes Werk ist seine Sicht auf Cannabis als kulturelle Brücke. In einer Zeit zunehmender globaler Polarisierung könnte die Substanz, die Gelpke als Vermittler zwischen östlichem und westlichem Bewusstsein sah, tatsächlich zur Verständigung zwischen verschiedenen Kulturen beitragen.

Zwischen Veröstlichung und Verwestlichung - die Dialektik des kulturellen Wandels

Gelpkes Vision der "inneren Veröstlichung des Westens" war, wie er selbst am Ende seines Buches erwähnt, bereits Mitte der 1960er Jahre in vollem Gang. Die Beatles pilgerten nach Indien, der Zen-Buddhismus eroberte amerikanische Universitäten, und eine ganze Generation suchte in östlicher Spiritualität Alternativen zur westlichen Rationalität. Doch was Gelpke damals nicht vorhersehen konnte, war die gleichzeitige Beschleunigung des entgegengesetzten Prozesses: der "äußeren Verwestlichung der Welt".

In den Jahrzehnten nach 1966 erlebten wir eine beispiellose Globalisierung westlicher Werte, Technologien und Lebensweisen. Von Tokyo bis Mumbai, von São Paulo bis Lagos durchdrang das westliche Modell - Konsumkapitalismus, technologische Rationalität, individualistische Lebensentwürfe - traditionelle Kulturen mit einer Geschwindigkeit und Intensität, die selbst die kolonialen Eroberungen der Vergangenheit weit übertraf. Das Internet, multinationale Konzerne und die globale Medienlandschaft trugen die westliche Lebensart und deren zugrundeliegende Werte in die entlegensten Winkel der Erde.

Paradoxerweise verstärkte dieser Prozess jedoch auch die Sehnsucht nach dem, was der Westen verloren hatte. Während sich die Welt äußerlich verwestlichte, wuchs in den westlichen Gesellschaften selbst das Bewusstsein für die Grenzen und Kosten ihres eigenen Modells. Burnout-Syndrome, Depressionen, ökologische Katastrophen und Klimakrise offenbarten die Schattenseiten einer Kultur, die Gelpkes "Dreiklang aus Leistungsprinzip, Zweckdenken und Zukunftsglauben" zur Perfektion getrieben hatte.

Heute, im Jahr 2025, erleben wir eine bereits seit den 1990er Jahren andauernde zweite Welle der Veröstlichung, die jedoch komplexer und ambivalenter ist als die erste. Meditation wird nicht nur praktiziert, sondern durch Apps wie Headspace und Calm digitalisiert und kommerzialisiert. Achtsamkeit wird zum Produktivitätswerkzeug in Unternehmen, die gleichzeitig ihre Mitarbeiter zu maximaler Effizienz antreiben. Cannabis wird legalisiert, aber in einem Rahmen kapitalistischer Vermarktung, der oft wenig mit den spirituellen Traditionen gemein hat, aus denen die Substanz stammt.

Wo stehen wir also - und wohin wird dies führen?

Einerseits sind die Zeichen für eine tiefere Transformation unübersehbar. Die Klimabewegung hinterfragt fundamental das westliche Wachstumsparadigma. Junge Menschen wenden sich von materialistischen Lebenszielen ab und suchen nach Sinn und Authentizität. Die Forschung zu Cannabis und anderen psychoaktiven Substanzen wie LSD, Ketamin, oder Psilopsybin und deren therapeutischem Potential stellt die bisherige Sicht auf Bewusstsein und Heilung in Frage. Diese Entwicklungen deuten darauf hin, dass die Veröstlichung diesmal breiter in die Masse gehen könnte als in den 1960er Jahren.

Andererseits zeigt die Art, wie östliche Praktiken verwestlicht werden, die enorme Absorptionskraft der kapitalistischen Kultur. Yoga wird zum Fitnessprogramm, Meditation zur Stressreduktion, Cannabis zum Lifestyle-Produkt. Die spirituelle Dimension, die Gelpke als das Wesentliche der östlichen Bewusstseinsformen betrachtete, droht dabei verloren zu gehen.

Die Kommerzialisierung östlicher Spiritualität und bewusstseinsverändernder Substanzen droht ihre tieferen Bedeutungen zu verwässern. Hier bietet Gelpkes Werk wichtige Orientierung: Er zeigt, dass echter kultureller Austausch nicht oberflächliche Übernahme, sondern tiefes Verständnis der zugrundeliegenden Weltanschauungen erfordert.

Die westliche Gesellschaft steht heute vor der Aufgabe, der von Gelpke prognostizierte Entwicklung eine gute Richtung zu geben: eine Kultur zu schaffen, die die Errungenschaften des Westens - wissenschaftliche Rationalität, technologische Innovation, individuelle Freiheit - mit den Weisheiten des Ostens - Kontemplation, Ganzheitlichkeit, spirituelle Tiefe - verbindet.

Cannabis und andere bewusstseinsverändernde Substanzen können in diesem Prozess wichtige Werkzeuge sein, vorausgesetzt, wir überwinden unser kulturellen bedingen Phobien und Vorbehalte und begegnen ihnen mit der gleichen Offenheit und dem gleichen Respekt, den Rudolf Gelpke in seinem bahnbrechenden Werk demonstrierte. Seine Vision einer Welt, in der östliche Weisheit und westliche Rationalität sich fruchtbar ergänzen, ist heute aktueller denn je - und seine Analyse der kulturellen Wurzeln unserer Haltung zu bewusstseinsverändernden Substanzen bietet den Schlüssel zu einem aufgeklärteren Umgang mit diesen mächtigen Werkzeugen des Bewusstseins.

Literatur

Gelpke, Rudolf, (1982, Erstauflage 1966) Vom Rausch im Orient und im Okzident, Klett-Cotta im Ullstein Tadchenbuch, 1982

Minowi, M. (1338/1960) ,Âzâdi o roschd-e edschtemâ'i mostalzem-e yekdigar and, in Âzâdi o heisiat_e ensâni, ed. M.A. Djamâlzâdeh, Teheran


[1] Minowi, M. ,Âzâdi o roschd-e edschtemâ'i mostalzem-e yekdigar and, in Âzâdi o heisiat_e ensâni, ed. M.A. Djamâlzâdeh, Teheran 1338/1960, S. 42.

← Älterer Post

News

RSS
Heimat entwickelt sich weiter: Neue Eigentümerstruktur und strategischer Markteintritt in Österreich

Heimat entwickelt sich weiter: Neue Eigentümerstruktur und strategischer Markteintritt in Österreich

Heimat blickt nach vorn: Mit neuer Eigentümerschaft, gestärktem Verwaltungsrat und dem Markteintritt in Österreich stellt sich die traditionsreiche Marke neu auf. Im Zentrum steht eine...

Weiterlesen
Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel: Pilotstudie untersucht Einsatz von CBD-Zigaretten im Klinikalltag

Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel: Pilotstudie untersucht Einsatz von CBD-Zigaretten im Klinikalltag

CBD-Zigaretten von Heimat in klinischer Studie: Weniger Medikamente, mehr Wohlbefinden? Ergebnisse der Pilotstudie an den Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel. Zwei an den Universitären Psychiatrischen Kliniken...

Weiterlesen