Warum eigentlich immer Natur?
Cannabinoide lassen sich heute problemlos synthetisch herstellen und sind sogar billiger als natürliche Hanfextrakte. Doch kann das Laborprodukt der Natur das Wasser reichen?
Hanf: ein komplexes Gewächs
Die Cannabispflanze enthält zahlreiche Cannabinoide: Tetrahydrocannabinol (THC), Cannabidiol (CBD), Cannabinol (CBN), Cannabigerol (CBG) oder Cannabichromen (CBC) sind nur die bekanntesten. Hinreichend erforscht sind weder deren Einzelwirkung noch deren Zusammenspiel. Sogar der menschliche Körper produziert Cannabinoide: die Endocannabinoide. Der menschliche Körper verfügt somit über ein Endocannabinoid-System, das mit den Cannabinoiden in Verbindung treten kann. Viele Funktionen des Körpers hängen mit dem Endocannabinoid-System zusammen – Schlaf, Appetit, Gedächtnis und viele andere. Cannabinoide wie Cannabidiol (CBD) lassen sich mittlerweile synthetisch herstellen. Doch sind synthetischen Cannabinoide der natürlichen Variante ebenbürtig?
Künstliche Cannabinoide sind billiger
Das Synthetisieren von natürlichen Verbindungen ist ein wichtiger Zweig der Pharma-Industrie. So ist etwa Aspirin das Ergebnis der industriellen Synthese eines natürlichen Wirkstoffs. Der Wirkstoff Salicin kann aus den Blättern und der Rinde der Weide extrahiert werden. Das Aspirin aus der Apotheke enthält die synthetisierte Variante des Wirkstoffs, die Acetylsalicylsäure. Und selbstverständlich könnten wir die Beschwerden, bei denen wir zu Aspirin greifen, auch heute noch mit natürlichen Arzneien behandeln, die auf der Weide als Heilpflanze basieren.
Als Arzneimittelwirkstoff wird in der Regel synthetisches CBD in Form eines sehr reinen, kristallinen Pulvers verwendet. Auf molekularer Ebene gibt es keinen Unterschied zum pflanzlichen CBD. Die Herstellung des synthetischen Wirkstoffs ist für die Pharma-Industrie ein einfaches Verfahren, und die Qualität kann damit standardisiert werden. Synthetisch hergestellt ist ein Stoff wie Cannabidiol billiger, als wenn dieser auf natürlichem Weg aus der Pflanze gewonnen werden muss. Auch wenn Konsumenten natürlichen Extrakten in der Regel – rein emotional – den Vorzug geben, so haben in Massen produzierte, synthetische Substanzen in preislicher Hinsicht die Nase vorn.
Die Herstellung von natürlichem CBD ist mit Kosten und Risiken verbunden
Viele Hersteller von Cannabis-Produkten setzen trotz des grösseren Aufwands dennoch oft auf natürliches CBD – auch wenn die Produktion aufwendiger und unkalkulierbarer ist: Das Unterhalten der Plantagen ist kostspielig und arbeitsintensiv. Der natürliche Anbau ist mit zusätzlichen Risiken behaftet, so gelten in der Regel Grenzwerte für THC-Konzentrationen, die nicht überschritten werden dürfen. Da ein Naturprodukt Schwankungen im THC-Gehalt unterworfen ist, besteht bei einer Überschreitung das Risiko, die gesamte Ernte zu verlieren. Die Verwendung von künstlichen Cannabinoiden schliesst dieses Risiko aus.
Entourage-Effekt: Das Ganze ist mehr als die Summe der Teile
Der Vorteil isolierter Komponenten liegt auf der Hand: die gezielte Verwendung eines Wirkstoffs für den Menschen. Ich habe Vitamin-C-Mangel, daher nehme ich Vitamin C zu mir. Oder mein Körper braucht mehr Vitamin D, dann nehme ich Vitamin D zu mir. Doch die Praxis zeigt, dass erstens nicht immer so klar ist, was uns fehlt, und dass zweitens der isolierte Stoff nicht dieselbe Wirkung entfaltet, wie wenn er mit anderen Stoffen interagieren kann. So wenig ein Telefonat die persönliche Beziehung ersetzt, so wenig ersetzt die Vitamin-C-Tablette den Apfel oder die Orange. Das Ganze ist eben mehr als die Summe der Teile.
In der Cannabisforschung wird dies „Entourage-Effekt“ genannt; er besagt, dass ein Pflanzenstoffgemisch eine höhere biologische Aktivität besitzt als die isolierte Reinsubstanz selbst. Anders gesagt: Wir wissen nicht genau, ob CBD nicht stärker wirkt, wenn wir neben dem CBD auch THC oder bestimmte pflanzeneigene Terpene oder Flavonoide mitkonsumieren. Wir wissen nur: Dies oder das hat mir gutgetan – aber warum genau? Aus diesem Grund enthalten Heimat-Produkte stets ganze Blüten, nicht bloss isolierte Komponenten. Denn die Erfahrung lehrt uns, dass wir unter dem Mikroskop zwar einen kleinen Ausschnitt klarer sehen – dass dies aber nicht die ganze Wahrheit ist. Jede Pflanze ist ein Orchester. Genau so wie der menschliche Organismus. Lassen wir sie zusammen aufspielen.